„Du musst dicke Arme machen, wenn noch Arbeit da ist“

„Bosch Bleibt - IG Metall“ bei Bosch Homburg

Sie hingen voll am Verbrenner und kämpften fünf Jahre für ihre Zukunft. Jetzt bauen sie Komponenten für Wasserstoff-Brennstoffzellen. Die Liste „Bosch Bleibt – IG Metall“ bei Bosch in Homburg hat 82 Prozent der Stimmen erreicht. Wir sprachen mit den Betriebsrätinnen Anke Glaeser und Sandra Schock.

Ihr hattet schon Betriebsratswahlen bei Bosch in Homburg/Saar. Wie ist es ausgegangen?

Anke Glaeser: Wir haben 82 Prozent der Stimmen. Von 25 Mandaten haben wir als „Bosch Bleibt - IG Metall“ 21 Mandate erreicht.

Wie trifft Euch Putins Krieg in der Ukraine? Brechen Euch Aufträge weg? Und was macht Ihr nun als Betriebsrat?

Anke Glaeser: Im LKW-Geschäft haben wir russische Kunden, die wir jetzt nicht mehr beliefern. Zugleich haben wir aber auch Kunden in Deutschland wie VW, die jetzt keine Kabelbäume mehr aus der Ukraine geliefert bekommen, wo daher viel Produktion ausfällt – und die dann natürlich auch keine Einspritzpumpen mehr von uns brauchen. Wir müssen jetzt abwägen, ob wir die in unserem Standortsicherungskonzept verhandelte Verlagerung von PKW-Teilen raus in die Türkei erst mal verzögern.

Sandra Schock: Zum Glück haben wir eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Kurzarbeit, die vor zwei Jahren gleich zu Beginn der Corona-Krise durchgesetzt wurde und noch eine Laufzeit bis 30.6.2022 hat. Die könnten wir auch jetzt noch einmal hervorziehen.

Ist der Arbeitgeber wegen den Folgen des Ukraine-Kriegs auf Euch zugekommen?

Anke: Wir sind auf die Firma zugegangen.

Sandra: Die Firma hat lediglich gewarnt, dass es schlechter wird. Wir haben das als Betriebsrat im Blick, gewerkschaftspolitisch, politisch.

Wie meinst Du das, Ihr habt das „im Blick“?

Sandra: Wir denken weit voraus auch im Sinne der Beschäftigung für unsere Kolleginnen und Kollegen. Wir putzen an allen Klinken, schauen und fordern die Firmenseite auf, Gelder zu beantragen, zum Beispiel für Qualifizierung. Wir haben die IG Metall und das Info-Institut zur Beratung an unserer Seite. So haben wir auch unser Standortkonzept durchgesetzt und uns eine Zukunft nach dem Verbrenner durch Wasserstoff-Brennstoffzellen gesichert. Im Moment versuchen wir gerade, grünen Wasserstoff ins Saarland zu bekommen.

Ihr habt fünf Jahre lang um Eure Zukunft gekämpft – und 2020 eine Standortsicherung durchgesetzt. Wie ging das damals 2015 los, mit Eurem Kampf?

Anke Glaeser: Bei uns in der Logistik haben wir davon natürlich gar nichts gemerkt und auch nicht darüber diskutiert, dass der Verbrenner durch neue Technologien abgelöst werden soll. Aber ab dem Diesel-Skandal sind wir dann im Betriebsrat hellhörig geworden. Bald kamen ja dann auch die Beschlüsse in Brüssel. Durch unsere zahlreichen Aktionen wurde es auch im Werk immer mehr publik und wir konnten immer mehr Beschäftigte auf unsere Seite bringen.

Wie habt ihr denn die Beschäftigten überzeugt, dass der Diesel geht und ihr was Neues braucht?

Sandra Schock: Die Beschäftigten davon zu überzeugen, ist auch jetzt noch schwierig. Weil wir es nicht spüren, dass der Diesel geht. Bei uns brummt’s. Das war damals, als „Bosch bleibt“ bei uns 2015 losging, noch schwieriger. Viele haben gesagt: Für mich langt‘s noch, bis ich in Rente gehe. Aber wir konnten die Belegschaft mit Daten, Zahlen, Fakten und Argumenten überzeugen, dass wir selbst etwas für unsere Zukunft tun müssen. Bei uns war damals schon ständig Abbau, wir sind in den letzten 20 Jahren von 7.000 runter auf 3.800 Beschäftigte. So wie mit uns wird ja mit vielen Bosch-Standorten in Deutschland umgegangen. Arbeitgeber verlagern, kümmern sich nicht um die Region. Es geht nur um Profit – und nicht um Beschäftigung oder die Belegschaft.

Jetzt habt ihr Brennstoffzellen in Euer Werk bekommen. Wie habt Ihr das bei den Verhandlungen durchgesetzt?

Sandra: Wir hatten die Belegschaft hinter uns. Wir hatten zig Aktionen.  Selbst als zu den Verhandlungen ein Bereichsvorstand von der Zentrale zur ´Unterstützung´ geschickt wurde, haben wir in kürzester Zeit 400 bis 500 Leute zur „Begrüßung“ vor das Tor bekommen.  

Wie funktioniert das, die Beschäftigten so kurzfristig zu organisieren?

Sandra: Am besten durch direkte Ansprache und Beteiligung.  Gerade Corona hat uns da noch kreativer gemacht. Wir haben für Informationen WhatsApp-Gruppen eingerichtet und Videos gedreht, bevor wir zum Beispiel unser Standortkonzept beschlossen und unterschrieben haben. Wir hatten einen Foliensatz zur Erklärung erstellt und per Video erläutert. Den haben  wir per E-Mail und WhatsApp verschickt und eine  Hotline für Rückfragen eingerichtet. Somit haben wir auch unsere Kolleginnen und Kollegen im mobilen Arbeiten oder in Kurzarbeit erreicht. Denn Abteilungsversammlungen konnten zu der Zeit nicht durchgeführt werden. Aber das ersetzt nicht das persönliche Gespräch. Das ist und bleibt unsere Stärke: der nahe Kontakt vor Ort zu den Kolleginnen und Kollegen. .

Und wie läuft es jetzt bei Euch? Geht Euer Konzept auf?

Anke: Die stationäre Brennstoffzelle läuft bereits. Und der Verbrenner läuft noch, besser als erwartet: Wir waren während Corona ein paar Monate teilweise in Kurzarbeit, aber seit Herbst 2020 haben die LKWs wieder voll angezogen. Die Halbleiterkrise, vor allem bei unseren Kunden, haben wir schon gespürt. Aber ich denke, der Arbeitgeber hat es auch etwas für sich ausgenutzt, um uns unter Druck zu setzen. Wir haben es ja an den Abrufen von Kunden gesehen.

Woher kennt Ihr als Betriebsrat solche Zahlen, etwa die Abrufzahlen Eurer Kunden?

Anke: Wir sind gut im Werk vernetzt. Und die Zahlen habe ich auch hartnäckig einfordert. Wenn sie mit uns Vereinbarungen wollen, dann brauchen wir auch die echten Zahlen.

Sandra: Ja, da müssen wir darauf achten, dass sie die Halbleiterkrise nicht nutzen, um an Billiglohnstandorte zu verlagern.

Anke: Sie klagen. Und dann siehst Du am Firmenergebnis, dass es gar nicht so schlecht gewesen sein kann. Aber sie wissen mittlerweile auch, dass wir uns auskennen. Wenn der Betriebsrat etwas sagt, dann ist das auch so. Wir bekommen immer wieder neue Werkleiter – wir Betriebsräte aber sind schon lange da. Oli [Oliver Simon, Betriebsratsvorsitzender von Bosch Homburg] sagt denen: Wenn wir das machen, dann wird das und das passieren. Und dann kommt es auch so. Das merken die ja auch so langsam.

Jetzt ist Eure Zukunft erst mal sicher? Oder wie geht es weiter?

Sandra: Der Ausschluss betriebsbedingter Kündigung gilt bis Ende 2025. Wir müssen jetzt bald schon die Verhandlungen aufnehmen: Wie geht es ab 2026 weiter? Und wir denken schon an 2035: Wenn keine Neuzulassungen mehr von Verbrennern zulässig sind, müssen wir an der Produktion der neuen Technologien beteiligt werden.

Das klingt ja alles schon anstrengend. Warum macht Ihr das, warum seid Ihr Betriebsrätinnen geworden?

Anke: Ja, es ist nicht immer einfach. Aber für mich ist eine Herzenssache. Es gibt einem aber viel zurück, wenn man helfen kann. Auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Wer macht‘s denn sonst? Ich habe auch Ungerechtigkeit am eigenen Leib gespürt. Und als es dann hieß: „Willst Du nicht mal Vertrauensfrau werden?“ - war ich schnell dabei, und ein paar Monate später hab ich mich für den Betriebsrat aufstellen lassen. Das war 2014. Und seit Juni 2019 bin ich nun freigestelltes Betriebsratsmitglied.

Sandra: Leidenschaft! Bevor ich zu Bosch kam, habe ich immer in so kleinen Klitschen ohne Betriebsrat und Gewerkschaft gearbeitet. Ich bin schon in diesen Betrieben immer eingestanden für meine Kollegen - und hatte offenbar gute Argumente, denn ich habe einiges durchgebracht. Als ich zu Bosch kam, bin ich schnell angesprochen worden: Ob ich nicht Vertrauensfrau werden will? Ja, mache ich, das habe ich eh’ schon immer gemacht. Dann wurde ich auch schnell in den Betriebsrat gewählt.

Und was gefällt Dir besonders bei Deinem Job im Betriebsrat?

Sandra: Wie gesagt: Ich habe auch erlebt, wie es ohne Betriebsrat, ohne Gewerkschaft, ohne Solidarität ist. Da macht der Arbeitgeber was er will. Alleine ist es immer schwerer. Wir sind solidarisch bei Bosch. Und ich finde die Kompetenzen so genial – was uns die IG Metall alles beigebracht hat, durch die Seminare und die Beratung. Wenn Du das Wissen nicht hast – und vor allem wie du es durchsetzt, kannst Du als Betriebsrat für die Kolloginnen und Kollegen nichts erreichen.

Wissen Eure Beschäftigten überhaupt, was Ihr für sie alles leistet?

Anke: Den Beschäftigten ist bewusst, was wir leisten. Wir kriegen sogar Lob. Und es treten sogar Leute ohne Ansprache online in die IG Metall ein, von sich aus, aus Überzeugung. Sie schreiben sogar drauf: Weil der BR so gute Arbeit macht. Wir sagen aber auch immer, was die IG Metall für uns leistet: Wenn wir Einstellungen haben, kommen die Neuen immer bei uns durch. Und die Kolleginnen, die das machen, gewinnen fast 100 Prozent als IG Metall-Mitglieder. Indem sie ihnen erklären, was sie verdienen, wie der Lohnzettel aussieht, wo ihr Leistungsentgelt herkommt – immer mit dem Hinweis: Dort ist es im Tarifvertrag geregelt, dank unser starken IG Metall. Besser kannst Du Dein Geld gar nicht anlegen.

Sandra: Die Belegschaft sieht schon das wir für den Standort unsere Beschäftigung und Perspektive kämpfen. Die Ergebnisse die aus unserem Standortkonzept umgesetzt werden, gerade was die neuen Produkte angeht, sind für jeden sichtbar.  Aber zum Auslaufen des Verbrenners kommt ja auch noch die Industrie 4.0 – die Digitalisierung und Zentralisierung. Das ist so umfangreich, das können wir gar nicht alles vermitteln, an was für Themen wir arbeiten. Nur eins ist klar: Würde die Mannschaft nicht so offensichtlich hinter uns stehen – und solidarisch, sei es für uns, für andere Standorte, bei Tarifauseinandersetzung, egal wo, wie auch immer, ohne das wären wir nicht so stark, wie wir sind, denn das beeindruckt den Arbeitgeber schon.

Und was wäre Euer Tipp für andere Betriebsrätinnen – oder Frauen, die es werden wollen?

Anke: Solidarisiert Euch, haltet zusammen, weil man nur zusammen etwas erreichen kann. Wenn nur jeder an sich denkt, kriegen wir nichts mehr hin.

Sandra: Gerade unser Beispiel soll Frauen Mut machen, auch in der Männerwelt seine Frau zu stehen. Traut Euch, Euch darauf einzulassen und Eure Meinung zu sagen. Frauen haben da oft noch einen anderen Blickwinkel. Und viele Meinungen führen zu vielen Ideen, die so keiner auf dem Schirm hat. So kann ein tolles Ergebnis herauskommen. Wissen erwerben, Verhandlungen führen, ein Teil des großen Ganzen zu sein: Ich wünsche jeder und jedem, bei so was mitmachen zu können. Ganz wichtig: Du kriegst nix, wenn keine Arbeit mehr da ist. Deshalb musst du dicke Arme machen, wenn noch Arbeit da ist.

Zur Internetseite der Kampagne „Bosch Bleibt“ bei Bosch in Homburg: bosch-bleibt.de

Dort findet Ihr Videos, die Wahlbroschüre, das Wahlprogramm zur Betriebsratswahl und eine Social Wall